Executive Summary

Die Vertrauensformel nach David MaisterVertrauen ist die stille Grundlage moderner Führung – gerade dort, wo Autonomie, Homeoffice und hohe Eigenverantwortung gefordert sind. Nur auf Kennzahlen zu setzen, erzeugt blinde Flecken: weniger Marktfeedback, spätes Lernen und riskantes Schweigen. In diesem Blogbeitrag ordne ich ein, warum Vertrauen betriebswirtschaftlich relevant ist, wie es im Führungskontext funktioniert und wo Sie konkret ansetzen können. Die Trust-Formel (Glaubwürdigkeit/Kompetenz + Zuverlässigkeit + Nähe) geteilt durch Selbstorientierung macht Vertrauen mess- und bearbeitbar. So vermeiden Sie KPI-Theater, schaffen psychologische Sicherheit („bad news early“) und erhöhen Tempo, Qualität und Verlässlichkeit im Alltag.

Einleitung

Vor Kurzem hielt ich einen Impuls zum Thema Führung 4.0 bei einer Bank. In der Diskussion stellte ein Vorstand die These auf, Autonomie ließe sich auch ohne Vertrauen ermöglichen – solange man streng über Kennzahlen steuert. Eine spannende Perspektive, die ich öfters höre. Und sie greift zu kurz. Denn in komplexer Wissensarbeit steuern Zahlen das, was bereits passiert. Vertrauen entscheidet darüber, wie schnell wir lernen, Risiken sichtbar machen und Qualität erhöhen. Genau diese Hebel fehlen, wenn Führung allein auf KPI-Erfüllung setzt.

In diesem Beitrag erhalten Sie eine praxisnahe Einordnung, wie Vertrauen Leistung tatsächlich beeinflusst, eine einfach anwendbare Analytik (Trust-Formel) und konkrete Ansatzpunkte, um Vertrauen in Ihren Beziehungen – etwa zu Bereichsleitern, Schlüsselkräften und Teams – gezielt zu erhöhen. Damit investieren Sie nicht in „Wohlfühlfaktoren“, sondern in frühe Risikosignale, verlässlichere Zusagen, bessere Entscheidungen – und damit in die Wirkung Ihrer Organisation.

1. Autonomie ohne Vertrauen? Warum das in der Praxis teuer wird

Die These „Kennzahlen ersetzen Vertrauen“ verkennt, dass Leistung mehr ist als der gemessene Output. Wenn nur auf Zielwerte und Volumina geschaut wird – etwa Abschlüsse im Vertrieb oder Kreditgeschäft –, verlieren Teams leicht den Marktpuls und die Aufmerksamkeit für Verbesserungen im Prozess. Beides ist jedoch entscheidend, um nachhaltig erfolgreich zu bleiben. Wer nur die Zahl bedienen soll, neigt dazu, alles andere auszublenden – nach dem Motto: „Dafür werde ich nicht bezahlt.“

Mindestens ebenso kritisch: Früherkennung von Risiken. Psychologische Sicherheit stammt aus Hochrisikobranchen wie der Luftfahrt. Ihr Kern: „Bad news early“ – Probleme werden früh und hierarchieübergreifend adressiert. Wenn Mitarbeitende befürchten müssen, als „Überbringer schlechter Nachrichten“ abgestraft zu werden, schweigen sie, bis Kennzahlen kippen oder schlimmeres passiert. Dann wird es teuer oder – im Falle von Flugzeugen – fatal. Vertrauen ist hier die Voraussetzung, damit Menschen sich trauen, Ungemütliches rechtzeitig auf den Tisch zu legen.

Ein drittes Risiko reiner Kennzahlsteuerung ist das Transparenzparadox (oft mit Goodhart’s Law bebildert): Wird eine Messgröße zum Ziel, optimieren Menschen die Zahl – nicht den Zweck. Klassische Beispiele: Kopfprämien auf Kobra-Schlangen, die zur Plage geworden waren, fürhten zum Züchten von Schlangen, oder das Belohnen von Code-Zeilen, das angen und schlechten Code erzeugte. Übertragen auf Unternehmen: schöne KPI-Kurven, aber schwache Wertschöpfung. Vertrauen und psychologische Sicherheit sind die Gegenkräfte, die Qualität und Lernen im System halten.

Zwischenfazit: Kennzahlen sind unverzichtbar – sie zeigen was passiert. Ohne Vertrauen fehlen die Mechanismen, die Lernen, Qualität und Timing sichern. Genau dort entstehen die versteckten Kosten reiner Zahlendominanz.

2. Was Vertrauen im Führungskontext ausmacht – in einem Satz

Vertrauen ist kein vages Bauchgefühl. Vertrauen ist eine arbeitsrelevante Ressource, die Tempo, Qualität, Lernfähigkeit und Zusammenarbeit beeinflusst. Mit Vertrauen verzeihen Mitarbeitende eher, wenn etwas nicht perfekt läuft, unterstützen Kolleginnen und Kollegen, gehen die Extra-Meile – ohne Vertrauen wird jede Kleinigkeit gegen die Führung gewendet. In hybriden, KI-gestützten und hochgradig autonomen Arbeitsumfeldern (Führung 3.0/4.0) ist Vertrauen deshalb existenziell.

3. Die Trust-Formel: Vertrauen mess- und bearbeitbar machen

Der Ansatz von David Maister macht Vertrauen als mathematischen Bruch fassbar:

(Glaubwürdigkeit bzw. Kompetenz + Zuverlässigkeit + Nähe) / Selbstorientierung.

  • Glaubwürdigkeit bzw. Kompetenz (G): fachliche Fähigkeit, Erwartungsmanagement, Einschätzbarkeit („versteht die Person, was es hier wirklich braucht?“).
  • Zuverlässigkeit (Z): Zusagenqualität (Termintreue, Nachhalten, rechtzeitig kommunizieren, wenn etwas nicht klappt).
  • Nähe (N): Beziehungsqualität, Vertrautheit, heikle Themen sicher adressieren können.
  • Selbstorientierung (S): der Ich-Fokus im Nenner – je ausgeprägter, desto stärker reduziert er das Gesamtvertrauen (Ego vor Team/Unternehmen?).

Warum ein Bruch? Eine hohe Selbstorientierung untergräbt alle positiven Effekte der drei Faktoren im Zähler – selbst wenn Kompetenz, Zuverlässigkeit und Nähe gegeben sind. Deshalb wird durch S geteilt.

Selbstcheck (10 Minuten): Wählen Sie eine wichtige Arbeitsbeziehung, in der Vertrauen „Luft nach oben“ hat. Bewerten Sie G, Z, N auf einer Skala von 1–10; S ebenfalls (1–10, je höher, desto störender). Der niedrigste Wert (von G,Z oder N) bzw. ein hoher Wert bei S bestimmt, wo Sie anfangen. Die Gesamtsumme ist weniger wichtig als der Engpass.

Anschauungsbeispiel: Würden Sie der Person Ihres größten Vertrauens zutrauen, spontan Ihren Fallschirm zu packen? Meist lautet die Antwort „nein“ – nicht wegen der Beziehung, sondern wegen fehlender Kompetenz. Das verankert unmittelbar, warum Glaubwürdigkeit bzw. Kompetenz ein tragender Pfeiler von Vertrauen ist.

4. Vertrauen gezielt stärken – vier Ansatzfelder mit praktischen Hebeln

Die Formel gibt die Richtung vor. Daraus werden alltagstaugliche Schritte, die Sie sofort starten können.

4.1 Wenn Glaubwürdigkeit/Kompetenz (G) der Engpass ist

Kompetenz ist nicht nur „Wissen“, sondern auch Erwartungsklarheit und Verstehen des Kontexts. Drei wirksame Hebel:

  1. Trainings anbieten: Wenn der Person wichtige Kompetenzen fehlen, z.B. weil die Person neu in der Rolle ist, könnten Schulungen eine gute Option sein.
  2. Delegation von Aufgaben: Als Training “on the job” könnten Kompetenzen auch aufgebaut werden indem die Person mehr Erfahrung auf einem Gebiet erwirbt.
  3. Coaching und Feedback: Hand in Hand mit Punkt 1 und 2 sollten dann Rückmeldung und Coaching von Ihnen oder in dem Bereich erfahrenen Kollegen folgen.

4.2 Wenn Zuverlässigkeit (Z) der Engpass ist

Vertrauen wächst an Zusagequalität.

  1. Erwartungen konkretisieren: Ergebnis, Qualitätskriterien, Termin – vorab klar vereinbaren, ggf. schriftlich. Damit steigt die Trefferquote.
  2. Zeit nehmen für Kontext: Bei einer Beauftragung darauf achten gut die Hintergründe zu erklären, damit die Person Wichtigkeit und sonstige zu beachtende Punkte berücksichtigen kann.
  3. Raum für (vorläufiges) nein schaffen: Zuverlässigkeit sollte eine Verinabrung auf Augenhöhe sein. Daher ist es wichtig, dass Sie Raum lassen, dass die Person die Aufgabe oder das Projekt in Ruhe durchdenkt. Ggf. muss die mit weiteren, auf die die Person zur Erfüllung angewiesen ist, Rücksprache halten, um Ihnen so eine qualifizierte Zu-oder Absage geben zu können.

4.3 Wenn Nähe (N) der Engpass ist

Nähe heißt nicht „Kumpelhaftigkeit“, sondern Vertrautheit, Einschätzbarkeit und ein sicherer Rahmen für heikle Themen.

  1. Vertrauen braucht Zeit: Regeltermine sind ein Anfang, vor allem wenn Sie sich die Zeit nehmen, auch mal ein paar Private Worte zu wechseln.
  2. Verletzlichkeit öffnet Türen: Wenn Sie den Gunrdstein gelegt haben, können sie das Vertrauen stärken indem Sie darüber sprechen, was Ihnen wichtig ist – i.d.R. wird sich die andere Person dann auch öffnen und teilen, was ihr wichtig ist.
  3. Fokus auf Ressourcen: Gerade beim Vertrauensaufbau sollte der Fokus auf Stärken und Kompetenzen der Person liegen, indem Sie diese benennen bauen Sie Nähe auf.

4.4 Wenn Selbstorientierung (S) zu hoch ist

Hohe Selbstorientierung reduziert das Gesamtvertrauen – auch bei Kompetenz und Zuverlässigkeit.

  1. Wirkung spiegeln: Ruhig und klar benennen, wie der Auftritt ankommt und was das mit Team und Ergebnissen macht. Entwicklung einfordern.
  2. Unternehmenszweck in den Mittelpunkt: Dienen Sie als Vorbild indem Sie Ihre Entscheidungen konsequent an Team-/Unternehmensnutzen ausrichten; Erfolge klar als Teamerfolge feiern und für Fehler persönlich die Verantwortung übernehmen.
  3. Lernen zulassen: Manchmal braucht es Erfahrungen, um Einsicht zu erzeugen. Führung heißt, Rahmen halten und konsequent bleiben.

5. Psychologische Sicherheit: Das Frühwarnsystem Ihrer Organisation

Psychologische Sicherheit wirkt wie ein Qualitäts- und Risikofilter. Sie ermöglicht, dass schwierige Informationen (Risiken, Fehler, Gegenargumente) früh in die Organisation gelangen – bevor sie teuer werden. Das Prinzip stammt aus der Luftfahrt, übertragen auf Unternehmen bedeutet es: „Bad news early“ ist gewünscht – und wird nicht sanktioniert. Führungskräfte setzen den Ton: Wer früh auf Probleme hinweist, bekommt Unterstützung, statt in Erklärungsnot zu geraten.

In Organisationen, in denen Vertrauen fehlt, sehen wir oft das Gegenteil: Wegschauen, „wird schon gut gehen“, oder spätes, defensives Melden, wenn es kaum noch Handlungsspielraum gibt. Genau dort entstehen Kosten – finanziell und kulturell. Vertrauen ist die Bedingung, psychologische Sicherheit die Praxis.

6. Das Transparenzparadox: Messen Sie den Zweck – nicht die Metrik

Das von Goodhart beschriebene Phänomen zeigt, wie leicht Systeme in Kennzahlen-Theater kippen: Die Zahl steigt, während Mehrwert und Qualität sinken. Die Beispiele sind plastisch: Kopfprämien gegen Schlangen führten zum Züchten von Schlangen; das Belohnen von Code-Zeilen erzeugte schwache und überlange Software. Der Lerneffekt für Führung:

  • Zuerst den Zweck klären, dann die Kennzahl wählen.
  • Qualitätsanker neben Volumen-KPIs setzen.
  • In Reviews konsequent fragen: „Welche Einsicht steckt hinter der Zahl?“

So bleibt die Kennzahl Mittel zum Zweck – und Vertrauen hält die Tür offen für ehrliches Reporting und der Extra Meile für den Zweck statt kreativer KPI-Akrobatik.

7. Führung 3.0/4.0: Warum Vertrauen heute noch wichtiger ist

Mit Homeoffice, hoher Autonomie und dem Einzug von KI-gestützten Tools wächst die Entscheidungsdichte – und damit die Anforderungen an Eigenverantwortung. In solchen Umfeldern lässt sich Qualität nicht mehr über engmaschige Kontrolle sichern. Was wirkt, ist ein klares Rahmenwerk (Ziele, Kriterien, Entscheidungsklarheit) – und ein Vertrauenskonto, auf dem Führung und Mitarbeitende einzahlen: verlässliche Zusagen, offenes Ansprechen von Risiken, nachvollziehbare Entscheidungen, respektvoller Umgang. Vertrauen ist hier kein „Nice-to-have“, sondern das Betriebssystem moderner Zusammenarbeit.

8. Ihr 30-Tage-Plan: Vertrauen erhöhen – in kleinen, belastbaren Schritten

Sie brauchen dafür keinen Großaufwand. Drei pragmatische Routinen genügen für den Start:

  1. Wöchentlicher Vertrauens-Check (10 Minuten):
    Eine Führungsbeziehung auswählen, G, Z, N, S kurz bewerten (1–10), kritische Dimension identifizieren, eine Maßnahme setzen – nach vier Wochen erneut messen.
  2. „Bad news early“ in jedem Teamtermin (3 Minuten):
    Einstiegsfrage: „Welche Risiken sehen wir – was braucht ihr?“ Führung dankt und priorisiert, statt abzuwehren.
  3. Zusage-Management sichtbar machen:
    Für relevante Zusagen: Owner, Termin, Status. Früh kommunizieren, wenn etwas kippt. Vertrauen wächst an verlässlichen Zusagen – nicht an perfekten PowerPoints.

Fazit

Zahlen steuern – Vertrauen beschleunigt. Wer Autonomie professionell nutzen will, braucht mehr als KPIs. Vertrauen bringt frühe Risiken an den Tisch, hält Qualität im System und ermöglicht Lernen unter Tempo. Die Trust-Formel liefert eine klare Analytik, um aus Bauchgefühl Führungshandwerk zu machen: Glaubwürdigkeit/Kompetenz, Zuverlässigkeit, Nähe – geteilt durch Selbstorientierung. Starten Sie dort, wo Ihr Engpass liegt, und messen Sie nach. So entsteht Schritt für Schritt das Fundament, auf dem Führung 3.0/4.0 wirksam wird – jenseits von Kennzahlen-Theater und Schönwetter-Rhetorik.

Herzliche Grüße
Björn Johannsmeier


PS:
Wenn Sie Vertrauen und psychologische Sicherheit in Ihrer Organisation stärken möchten – gezielt, messbar und alltagstauglich –, begleite ich Sie gern: von der Diagnose per Trust-Formel über konkrete Mikro-Hebel bis zur Stabilisierung im Arbeitsalltag. Vereinbaren Sie hier Ihr kostenloses  Erstgespräch, in dem wir klären, wo Sie den größten Hebel haben. Alternativ lesen Sie hier mehr über das Thema Kulturgestaltung.